Im Kreis einer eng befreundeten Pfadfindergruppe sind Kinder und Jugendliche schnell zu begeistern. Gemeinsam erlebte Abenteuer, geteilte Ideale und das Wissen, akzeptiert und angenommen zu sein, erzeugen einen festen Zusammenhalt und ein intensives Zugehörigkeitsbewusstsein. Ein derartiger Rahmen kann persönliches Wachstum ermöglichen, fördern und entfalten – er kann aber auch einengen, manipulieren, Entwicklung verhindern. Dazu kommt es, wenn die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen, seine konkrete persönliche Situation und sein – fachsprachlich formuliert – „spirituelles Selbstbestimmungsrecht“ nicht respektiert werden. In solchen Fällen können die vielen positiven Chancen einer katholischen Jugendgruppe in ein toxisches Beziehungsgefüge umschlagen.
Im Bewusstsein, dass diese Dynamik für jede Gemeinschaft mit einem großen gemeinsamen Ziel und festem Zusammenhalt virulent ist, haben wir unsere diesjährige Frühlingsakademie als KPE-Bundesfortbildungstag zum Thema „Geistlicher Missbrauch“ konzipiert und alle Gruppenführungen dazu eingeladen. Als Referentin konnten wir Frau Stephanie Butenkemper gewinnen, die aufgrund ihrer diesbezüglichen Forschungsarbeit und Publikationstätigkeit als ausgewiesene Expertin für diese Thematik bekannt ist: Was ist Geistlicher Missbrauch? Wie entwickelt sich in einer Gruppe ein missbräuchliches Setting? Warum fällt es Betroffenen so schwer, ihre Situation als Missbrauch zu erkennen? Wie kann man Geistlichem Missbrauch vorbeugen? Die abwechslungsreiche, interaktive Vortragsweise von Frau Butenkemper, die ihre Zuhörer wiederholt in Kleingruppen die Fragestellungen auf ihre eigene Situation anwenden ließ, machte die Fortbildung nicht nur zu einem Gewinn im theoretischen Kenntnisstand zur Thematik, sondern regte die Teilnehmer zur persönlichen Reflexion an.
Ausgehend von der Frage, wo jeder einzelne für sich selbst Quellen der Erfüllung und Lebensfreude erfährt, wurde im Laufe der Akademie deutlich, wie wichtig es ist, Verhaltenserwartungen von anderen oder von Gemeinschaften immer auch auf die eigene Lebensförderlichkeit hin zu prüfen. Frau Butenkemper verwies in diesem Zusammenhang auf das Bild eines Hauses, das auf verschiedenen Säulen aufgebaut an Stabilität gewinnt: Beruf, Sport, Familie, Gemeinschaft, Gruppe, Freunde… Steht jedoch alles nur auf einer Säule, steigt das Risiko an Instabilität, Verkümmerung und Zusammenbruch.
Die positive Chance zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, die eine geistlich orientierten Jugendgruppe bieten kann (wie z.B. Zu(sammen)gehörigkeit, gegenseitige Unterstützung, sichere Beziehungen, gemeinsame Werte und Ideale uvm.) kann somit auch zu einer Gefahr für Manipulation und dysfunktionaler Beeinflussung werden.
Umso wichtiger ist eine hohe Sensibilität von Seiten der erwachsenen Verantwortlichen für die jeweiligen Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendliche, sowie die Reflexionsfähigkeit für eigene Bedürfnisse. Nur im Respekt vor der Würde der einzelnen Person und somit auch vor der Verantwortung, andere Menschen zur Freiheit zu begleiten, kann Gemeinschaft in Freiheit gelebt werden.
Entsprechend fielen in der abschließenden Reflexionsrunde von den Teilnehmern immer wieder Begriffe wie „Sensibilität für den je Einzelnen“, „Respekt vor der Freiheit“, „Seins oder Meins?“, „Verantwortung übergeben“, „look at the boy“ uvm.
Wie geht es in der KPE mit diesem Thema nach dieser Bundesfortbildung weiter? In der Kleingruppenarbeit wurde der Blick auf die aktuelle KPE geschärft und die Ergebnisse anschließend gesammelt: Was läuft in der KPE bei diesem Thema bereits gut? Was können und müssen wir besser machen? Am Ende wurde immer deutlicher, dass die Thematik Geistlicher Missbrauch nicht mit einfachen Kriterien zu fassen ist, sondern in seiner Komplexität wirklich herausfordert. Die Zusammenfassung lautete: „Auch wenn´s einfacher wäre: Es geht hier nicht um schwarz oder weiß. Es gilt zu differenzieren, zu sensibilisieren und zu reflektieren. Dann kann achtsame, heilsame Führung gut gelingen.“
Bereits bei den kommenden Gruppenführungskursen in der Osterwoche können hierzu bestimmte Elemente mit einfließen und im September 2024 ist mit Frau Dr. Hannah A. Schulz eine Fortsetzung geplant.